Musik

Die japanische Flöte Shakuhachi ist wie beinahe alle japanischen Musikinstrumente von China nach Japan eingeführt worden. Ob sie auch chinesischen Ursprungs ist, oder aus anderen Teilen Asiens stammt, lässt sich nicht mehr nachweisen. Ihr Name Shakuhachi (chinesisch Chĭ Bā), zusammengesetzt aus dem Längenmass „Fuss“ und der Zahl „Acht“, wird meist interpretiert als Länge des Instruments von 1 Fuss 8 Zoll. Da die Shakuhachi bis ins 19. Jahrhundert ein musikalisches Eigenleben führte, war die genaue Länge jedoch sekundär. Erst mit dem Zusammenspiel mit anderen Instrumenten, namentlich der Zither Koto und der SpiesslauteShamisen enstand die moderne Shakuhachi, die die in ihrem Namen enthaltene Länge (18 Zoll = 54.5 cm) wirklich besitzt. Dadurch ergeben sich für die 5 Grifflöcher der modernen Shakuhachi die Töne D, F, G, A, C, D.

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Gefertigt wird die Shakuhachi heute aus dem Madake Bambus (Phyllostachys bambusoides), wobei auf Aussehen und Abstand der Nodien geachtet wird. Organologisch gehört sie zu den Kerbflöten, d.h. offenen Längsflöten, bei denen der Luftstrom auf eine Kerbe in der Oberkante gelenkt wird. Charakteristisch für die Shakuhachi ist jedoch der schräge „Anschnitt“ der Oberkante, wodurch eine runde Vertiefung der Innenkante des Rohrs, Utaguchi genannt, entsteht.

Möglicherweise ist die Shakuhachi zweimal nach Japan eingeführt worden. Sie gelangte etwa im 7. Jahrhundert als Teil des Instrumentariums des HoforchestersGagaku nach Japan. Allerdings geriet sie schon im 11. Jahrhundert wieder in Vergessenheit. Nachdem im 13. Jahrhundert Kontakte zu China wieder aufgenommen worden waren, erschien sie im Umkreis buddhistischer Mönche, die in den folgenden Jahrhunderten eine eigene, nur auf ihrem Instrument gespielte Musik entwickelten. Zunächst jedoch lag die Shakuhachi in den Händen einer der vielen buddhistischen Gruppierungen jener Zeit, die sich keiner der grossen Hauptströmungen zuordnen lassen. Es handelte sich um eine Gruppe von Wandermönchen, die nach ihrem Erkennungszeichen, einer Strohmatte (Komo), Strohmatten-Mönche (Komosô) genannt wurden und die ihren Ursprung auf den chinesischen Zen-Mönch Fuke (chinesisch Pŭ Huà, 9. Jahrhundert) zurückführten. Ihre genaue Beziehung zur Shakuhachi und zur Musik ist ungeklärt. Nach der gewaltsamen Einigung des Reiches im 17. Jahrhundert und einer strafferen Kontrolle der vielen buddhistischen Orden und Sekten wandelten sich die einfachen Strohmatten-Mönche zu „Mönchen der Leere und des Nichts“ (Komusô) und wurden zu einer Untergruppe der Rinzai-Richtung des Zen-Buddhismus. Genannt wurde die GruppeFukeshû (Fuke Orden) nach ihrem legendären chinesischen Gründer. Erst ab dieser Zeit wird eine Beziehung zum Zen-Buddismus sichtbar, ohne dass allerdings bis heute klar wurde, wie sich diese Beziehung in der musikalischen Praxis ausdrückte.

Deutlichere Konturen gewinnt die Musik der wandernden Bettelmönche erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Kurosawa Kinko (1710 – 1770) schrieb 36 Stücke auf, die er auf seinen Wanderungen gelernt hatte und bezeichnete sie als Shakuhachi Honkyoku(Eigene Musik der Shakuhachi). Zu jener Zeit hatten sich schon vielfältige Musikarten mit einigen regionalen Varianten für dieses Instrument entwickelt. Die Shakuhachi Honkyoku, die Kinko notierte, sind davon nur ein kleiner Ausschnitt, sind aber bedeutsam als ältestes schriftliches Zeugnis dieser Musik. Er entwickelte dafür eine einfache Notenschrift, die jedem der fünf Grifflöcher eine Silbe zuordnet (Ro, Tsu, Re, Chi, Hi, Ha). Da der Rhythmus dieser Musik unmensuriert ist, begnügte er sich damit, vier verschiedene Tondauern zu unterscheiden, die jedoch in keinen klaren Proportionen zueinander stehen.

Offiziell war bis 1847, als das Privileg aufgehoben wurde, das Instrument exklusives Eigentum des Fuke-Ordens. Allerdings waren schon vorher Laien unterrichtet worden und die Shakuhachi wurde sporadisch mit anderen Instrumenten zusammen gespielt. Beide Tendenzen erhielten ab der Mitte des 19. Jahrhunderts starken Auftrieb. Es entstand das Sankyoku-Ensemble bestehend aus der Zither Koto, der Spiesslaute Shamisen und der Flöte Shakuhachi. Das Repertoire der so entstandenen Musikgattung setzt sich aus bereits bestehender Musik der Saiteninstrumente des 17. und 18. Jahrhunderts zusammen, die mehrheitlich in Kyoto entstanden waren. Dazu wurde aus den Stimmen von Koto und Shamisen eine Shakuhachi Stimme geschaffen und die alte von Kinko geschaffene Notation wurde durch Uehara Rokushirô (1848 – 1913) so weiterentwickelt, dass sie auch die klaren metrischen Proportionen dieser Musik darstellen konnte.

Die tiefgreifen Veränderungen der Meiji Reformation (1868 – 1912) gingen auch an der Shakuhachi nicht spurlos vorbei. Der Fuke-Orden wurde 1871 aufgelöst, eine neue Basis musste gefunden werden. Welche Position sollte dieses Instrument und seine Musik im modernen Japan des 20. Jahrhunderts einnehmen? Zwei Möglichkeiten waren offen: Das Alte bewahren oder Neues schaffen. Die von Kinko gegründete und nach ihm benannte Kinko-Schule konnte, dank ihrem zweiten Standbein im Sankyoku-Ensemble, als Vertreterin der traditionellen Musik Japans weiterbestehen. Nach einer Phase der Unsicherheit schlossen sich die verschiedenen Richtungen, die die alte, im buddhistischen Kontext entstandene Musik für Shakuhachi bewahren wollten, zu einer losen Vereinigung zusammen (Myôan Kyôkai), die im wesentlichen noch heute besteht. Als neues Element betrat mit Nakao Tozan (1876 – 1956) ein Shakuhachi Spieler die Bühne, der mit eigenen Kompositionen, die zum Teil von westlicher Musik beeinflusst waren, grossen Erfolg hatte.

Diese Situation hat heute noch Bestand. Zu einer neuen Einschätzung traditioneller japanischer Musik und der Shakuhachi im Besonderen trugen eine Reihe von auch international bekannten Komponisten bei, die um 1965 beinahe gleichzeitig die musikalischen Möglichkeiten der Shakuhachi im Kontext zeitgenössischer Musik entdeckten. Zwischen 1965 und 1980 schrieben Takemitsu Tôru (1930 – 1996), Hirose Ryôhei (geb. 1930), Moroi Makoto (geb. 1930), Shinohara Makoto (geb. 1931) und Ishii Maki (geb. 1936) eine Reihe von wichtigen Werken für Shakuhachi und Ensembles westlicher Instrumente. November Steps (1967) von Takemitsu ist wohl als das Werk anzusehen, das die Shakuhachi ins Bewusstsein von westlichen Hörern zeitgenössischer Musik gebracht hat.

Um 1970 begannen auch Nicht-Japaner aus den USA und Europa Shakuhachi zu studieren. Mittlerweile ist die Shakuhachi im Westen zu einem festen Bestandteil der Musik der Welt geworden. Grosse Festivals in Boulder (1998), New York (2004) und Sydney (2008) zeugen von ihrer Attraktivität auch auf westliche Musiker.

Grosse Festivals in Boulder (1998), New York (2004), Sydney (2008) und Kyoto (2012) zeugen von ihrer Attraktivität auch auf westliche Musiker.